Cover
Titel
Viele untote Körper. Über Zombies der Literatur und des Kinos


Autor(en)
Peter Schuck
Anzahl Seiten
650 S.
Preis
€ 49,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Tim Lanzendörfer, Obama Institute for Transnational American Studies, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Die Figur des Zombies erlebt immer noch eine ihr im Wortsinne nahekommende Renaissance: Filme wie „28 Days Later“ (2002), die Comic- und TV-Serie „The Walking Dead“ (2003–2019, bzw. seit 2010) und der Bestseller „World War Z“ von Max Brooks (2006) begründeten sie, hunderte von Filmen und Romanen stehen mittlerweile für ihre Beharrlichkeit. Eine Vielzahl von populärkulturellen, oft ironisch mit der vermeintlichen Absurdität der Idee spielenden Artefakten zeugt von der paradoxen Lebendigkeit des Untoten. Es kann daher nicht überraschen, dass sich Medien-, Kultur- und Literaturwissenschaften mit Bedeutung und Geschichte der Zombiefigur befassen und dabei sowohl ihre notwendige Verortung in einer imperialistischen euro-amerikanischen Kolonialpolitik wie auch ihre heutigen Formen erörtern. Peter Schucks Beitrag zu dieser Forschungslandschaft legt auf 650 Seiten, unter Bezug auf nahezu die gesamte existierende deutsche und anglophone Forschung, eine philosophisch komplexe und zombiologisch kenntnisreiche, geschichtlich fundierte Deutung des Zombies vor. Es gibt auf Deutsch kein anderes Buch, das annähernd so umfassend über den Zombie berichtet.

Schuck widmet sich dem Thema in elf Kapiteln. Nach einer umfangreichen Einleitung, die die theoretische und inhaltliche Grundlage für das Buch darlegt, befassen sich drei Kapitel mit der Geschichte des Zombies als Figur im karibischen Raum und seinen ersten Erscheinungen in U.S.-amerikanischen Texten. Hier stützt sich der Autor intensiv auf die Arbeit Sarah Juliet Lauros1, liefert aber eine Vielzahl eigener Ergänzungen. Die folgenden sieben Kapitel, die von Umfang wie Ausführungen her den Hauptteil der Arbeit darstellen, befassen sich mit Fragen der konkreten Körperlichkeit und Medialität des Zombies, unter Titeln wie „Greifen: Zombiegesten 1“ und „Found Footage Zombies“. In diesen Kapiteln besticht die Darstellung durch ihre analytische und interpretative Leistung, die faszinierende Einblicke in die Tiefgründigkeit der Zombiefigur seit „Night of the Living Dead“ (1968) bietet.

Im Fokus des Buches steht dabei weniger die geschichtliche Entwicklung als vielmehr eine konkrete Interpretation des Zombies als Figur, nämlich seine paradoxe Körperlichkeit als untoter Körper. Zentrale These ist, dass der Zombie ob seiner unausweichlichen und aufdringlichen Körperlichkeit schon immer und notwendig Verweis ist: Verweis auf andere Zombies, Verweis auf die menschliche Körperlichkeit als Ursprung des Zombies – und auf den Zombie als Folge unserer Körperlichkeit; aber auch Verweis auf politisch-philosophische Gegenwartsdiskurse wie den „homo sacer“, die Biopolitik, den Posthumanismus. Schucks Bezugsrahmen reicht von Michel Foucault und Jacques Derrida zu Giorgio Agamben und Maurice Blanchot. Deren detailliert dargelegten philosophischen Einlassungen stellt Schuck mit seiner medien- und kulturwissenschaftlichen Analyse ein wichtiges Korrektiv bei: Er versteht den Zombie nämlich insbesondere auch als konkret medialen Verweis, als nur im Rahmen seiner medialen Existenz verstehbar und damit über bloße Symbolik hinausgehend als notwendigerweise zu interpretierend. Auf dieser Überlegung aufbauend liest Schuck die große Vielzahl von Filmen – und auch einige historische Texte – in ihren jeweiligen Eigenheiten mit durchweg eigenständigen, überzeugenden und erhellenden Interpretationen.

Das Buch arbeitet seine Beispiele jedoch nicht einfach als Fallgeschichten einzeln ab. Vielmehr kehrt Schuck wiederholt zu den gleichen Texten zurück, kombiniert diese immer wieder neu und nimmt sie kapitelweise unter seiner Perspektive – der medialen Körperlichkeit des Zombies – in den Blick. „Zombiegesten“ umfassen dann Stolpern, Zucken, Greifen, aber auch Infektion oder Immunität als primär körperlich zu verstehende Zustände. Die Medialität tritt in der Frage der Wiederkehr von Archiviertem oder der Konstruktion von Sichtbarem und Unsichtbarem im Kapitel „Found Footage Zombies“ hervor. So ergibt sich über die ganze Lektüre hinweg ein immer wieder aus anderen Winkeln betrachtetes, kaleidoskopisches Gesamtbild vieler Texte. An die Stelle der einen interpretativen These, wie sie in Fallbeispielen fast natürlich entsteht, rückt so eine Sichtweise auf den Zombie, die in ihrer eigenen Praxis abbildet, was sie theoretisch argumentiert: nämlich, dass der Zombie immer Verweis bleibt, nie festhaltbar wird, immer im Spiel mit anderen Zombies und anderen Medienformaten gelesen werden muss.

Die kaleidoskopische Form bringt aber auch Schwierigkeiten, die nicht unerwähnt bleiben sollten. Dazu gehört, dass sich Schuck damit schwertut, den Zombie zu historisieren. Zwar verortet er ihn in einer langen Geschichte des europäischen Imperialismus in der Karibik, insbesondere Haitis. Der jeweils konkrete historische Moment der Texte oder die Gegenwart als solche, als Moment gesteigerten Interesses am Zombie, wird aber nicht deutlich in die Überlegungen integriert. Schuck vernachlässigt die Frage des historischen Kontexts seiner Texte nicht grundsätzlich, rückt ihn aber hinter seine philosophisch-allgemeinen und textspezifischen Analysen der Körperlichkeit des Zombies als Figur. „Viele untote Körper“ postuliert keine historischen Erklärungen für Auftreten oder konkrete Konzeptionen des Zombies, sondern allenfalls historische Kontexte. Vietnam und Bürgerrechtsbewegung in den USA werden etwa in Bezug auf „Night of the Living Dead“ erwähnt, Schuck setzt das Werk aber entschiedener in philosophischen Bezug zu seinem vierzig Jahre später erschienenen Reihennachfolger „Diary of the Dead“ (2007), in dem er ähnlich gelagerte Ängste um das Archiv liest. War für „Night of the Living Dead“ noch der Kontext eines alles vernichtenden Atomkriegs von Bedeutung, so führt er für „Diary“ die Überwachungsgesellschaft als zentralen Kontext an. „Night“ und „Diary“ werden als Wiederholungen gelesen, die in der Figur des Zombies verkörpert sind. Beide Filme haben zwar einen historischen Kontext für ihre apokalyptischen Ängste, der Zombie begründet sich aber als zentrale Figur dieser Ängste gleichsam selbst. Ähnlich verfährt das Buch jenseits seiner dezidiert historischen Anfangskapitel durchgehend. Der Zombie wird so zwar nicht ahistorisch, aber gewollt transtemporal: Egal wo er auftaucht, so eine Deutung der Analyse Schucks, muss seine körperliche Verfasstheit und mediale Referenzwirkung über seine soziohistorische Metaphorik gestellt werden, oder diese zumindest nur über seine (wiederkehrend ähnliche) Körperlichkeit lesbar sein.

Ein zweiter Kritikpunkt ist, dass die Form des Buches, in der zentrale Texte immer wieder in verschiedenen analytischen Kontexten auftauchen, eine Gesamtschau aller Argumente zu den jeweiligen Texten schwierig gestaltet. Wie dann schließlich etwa „Night of the Living Dead“ zu lesen sei, ist etwas undurchdringlich. Es gilt natürlich festzuhalten: Dies ist sicher gewollt. Die These des Buches ist ja gerade, dass sich in der Lesbarmachung von Verweisstrukturen die Funktion des Zombies als Figur erst erschließt, der Zombie also immer in Bezug zu anderen Zombies und damit transhistorisch gelesen werden muss. Gleichzeitig wünscht man sich gelegentlich etwas griffigere Aussagen. Schucks Ausführungen, insbesondere im das Buch eröffnenden historischen Teil, sind positiv wie negativ erschöpfend: Sie lassen keine Fragen offen, detaillieren durchgehend die Argumentations- und Belegstränge, arbeiten sich gründlich an der Forschungsliteratur und der Gegenwartsphilosophie ab und ergänzen diese immer wieder höchst hilfreich mit eigenen Beobachtungen. Zum zustimmenden Nicken gesellt sich aber auch ein erschöpftes Wegnicken ob der Dichte und Fülle des Materials, der Belege und Verweise, der Zitate und Anmerkungen. Dies zu kritisieren ist sicher nur dann statthaft, wenn sich daraus auch eine Schwäche ergibt. Diese Schwäche würde ich ausmachen wollen: nämlich, dass die zentrale, leitende und wichtige These des Buches auf weiten Strecken etwas verloren geht, beziehungsweise sich die Verbindungen zwischen Darstellung und These oft nicht notwendigerweise erschließen – was nicht viel mehr heißen muss, als dass sie mir oft nicht klar geworden sind.

Ein letzter kritischer Einwand mag sein: Für ein Buch, das die Medialität des Zombies in den Vordergrund hebt, ist an medialer Abwechslung nur bedingt etwas geboten. Schuck liest mit außergewöhnlicher interpretativer Auffassungsgabe und Detailbesessenheit Filme und (wenige) Fernsehserien; literarische Fiktionen oder fiktionsnahe Texte dagegen trotz des Untertitels nur da, wo sie unausweichlich sind (etwa William Seabrooks „The Magic Island“, die ursprüngliche populärkulturelle Quelle des Zombiemythos); Comics und Videospiele gar nicht. Ob sich hier ein Bruch in der Theorie darstellt, muss wohl jede/r Leser/in selbst beantworten; schade ist es umso mehr, als Schucks Interpretationen durchweg einen Mehrwert darstellen, die dem unterbeleuchteten Korpus anderer medialer Erscheinungsformen des Zombies sehr gut zu Gesicht gestanden hätten.

Was lässt sich im Fazit dann sagen? „Viele untote Körper“ ist ein Buch für Leser/innen, die sich herausfordern lassen wollen, die Figur des Zombies als so komplex philosophisch lesbar zu akzeptieren, wie Schuck es eindringlich und überzeugend darlegt. Es ist keine Kulturgeschichte des Zombies, will das aber auch gar nicht sein: Es schlägt seine höchst eigene Schneise in das Dickicht der Kritik der Zombiefigur. Es ist ein Buch, das jeder, der zum Zombie wissenschaftlich arbeitet, gelesen haben muss, ja durchgearbeitet haben muss. Tut man dies, findet man sich zwar oft in der Eindringlichkeit und Komplexität der von Schuck aufgefalteten Zombiegeschichte und -philosophie narrativ etwas verloren, wird aber immer wieder von überzeugenden Gedanken und Interventionen eingefangen, verfängt sich staunend im dichten Netz der wiederkehrenden Verweise. „Viele untote Körper“ strotzt vor Einsichten, ohne die man nach der Lektüre des Buches unmöglich weiterarbeiten kann.

Anmerkung:
1 Sarah Juliet Lauro (Hrsg.), Zombie Theory. A Reader, Minneapolis 2017.

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